#RetterWissen
Liebe Kolleg:innen,
das Team des sim.ME freut sich, Euch eine Übersetzung eines spannenden Artikels zur Verfügung stellen zu können.
Das Original und weiterführende Links findet Ihr hier: https://www.stemlynsblog.org/jc-illicit-drug-induced-hyperthermia-a-time-critical-toxicological-emergency/
JC: Durch illegale Drogen ausgelöste Hyperthermie: ein zeitkritischer toxikologischer Notfall
Von Simon Carley / 3. Juli 2025 / #FOAMed, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Toxikologie
Die durch Drogen induzierte Hyperthermie war schon in den frühen Tagen von St. Emlyn’s ein Thema, nachdem in Virchester einige tragische Fälle behandelt wurden. Leider ist dieses Problem nicht auf uns beschränkt. Notaufnahmen (EDs) in ganz Großbritannien und darüber hinaus sehen zunehmend Patient:innen mit dieser lebensbedrohlichen Komplikation, häufig im Zusammenhang mit Großveranstaltungen und Musikfestivals. Obwohl Strategien zur Schadensminimierung viel Aufmerksamkeit erhalten haben, bleibt das klinische Management komplex und risikoreich – insbesondere, wenn Hyperthermie beteiligt ist.
Diese Woche haben wir eine hervorragende Publikation von Nic Ionmhain, McArdle und Berling in Emergency Medicine Australasia, die einen wichtigen und zeitnahen Überblick über Erkennung und Management der drogeninduzierten Hyperthermie (IDIH) bietet. Ich selbst habe mehrere Fälle und auch daraus resultierende Todesfälle erlebt. Dabei wurde mir klar: Es gibt erheblichen Verbesserungsbedarf. Meine eigene Vorgehensweise hat sich über die Jahre deutlich verändert – und ich ermutige euch, das ebenfalls zu tun. Es handelt sich um ein Krankheitsbild, bei dem schnelles Handeln Leben retten kann.
Was ist IDIH?
IDIH ist ein spezifisches und schwerwiegendes klinisches Syndrom, das sich klar von bekannten Ursachen erhöhter Körpertemperatur unterscheidet. Es ist v. a. mit Substanzen wie MDMA (Ecstasy), Methamphetamin, Kokain und verwandten Stimulanzien assoziiert und betrifft meist junge, ansonsten gesunde Menschen.
Die Autor:innen beschreiben es als ein HALO-Ereignis (High Acuity, Low Occurrence): selten, aber mit hoher Morbidität und Mortalität, insbesondere wenn es nicht früh erkannt und behandelt wird.
Zusammenfassung der Publikation
IDIH ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der schnelle Diagnose und Behandlung erfordert.
Pathophysiologie: Exazerbiert durch körperliche Belastung und hohe Umgebungstemperaturen (> 31 °C).
Therapie-Schwerpunkte:
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Reduktion der Wärmeproduktion
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Aktives Kühlen
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Gezielte unterstützende Maßnahmen
Ziel: Temperaturkontrolle innerhalb von 15 Minuten, um irreversible Organschäden zu verhindern.
Empfehlung: Einsatz eines spezifischen IDIH-Protokolls und frühzeitige Rücksprache mit klinischen Toxikolog:innen.
Warum so dringend?
Fieber = regulierter Sollwertanstieg im Rahmen der Immunabwehr
Hyperthermie = unreguliert und pathologisch
Bei IDIH wirken mehrere Mechanismen zusammen:
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unkontrollierte Wärmeproduktion
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eingeschränkte Wärmeabgabe
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Versagen der zentralen Thermoregulation
Dazu kommen Umwelt- und Verhaltensfaktoren wie Tanzen, Dehydratation und Hitze. Auch Fixierung durch Polizei oder Klinikpersonal kann die Situation verschärfen.
⚠️ Hyperthermie > 40 °C ist direkt zytotoxisch. Irreversible Zellschäden beginnen nach ca. 15 Minuten. Jede Verzögerung erhöht das Risiko von Multiorganversagen und Tod.
Klinische Einteilung (nach Temperatur und Symptomen)
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Mild: 37,5–38 °C, keine Hochrisikomerkmale
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Moderat: 38,1–38,9 °C oder Anzeichen von Sympathikusüberaktivität (Tachykardie, Hypertonie)
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Schwer: > 39 °C oder Bewusstseinsstörungen, Agitation, Verwirrtheit, Organfunktionsstörungen
👉 Schweres IDIH erfordert sofortige, aggressive Intervention und sollte erfahrene Reanimations- und Intensivmediziner:innen einbeziehen.
Zwei Fallbeispiele
Fall 1 (guter Ausgang):
36-jähriger Mann, Methamphetamin, 30 °C Umgebung, bewusstlos, GCS 3, Temperatur 43,2 °C.
Therapie: Rasches Kühlen (Eis, kalte Infusionen, Kühlmatte), Intubation, Benzodiazepine, Vasopressoren, ITS.
➡️ Normothermie nach 3 Stunden, Entlassung nach 8 Tagen ohne Folgen.
Fall 2 (tragischer Verlauf):
25-jährige Frau, MDMA bei Musikfestival, Temperatur 42 °C, agitiert, hypoton, schwere Azidose + Hyperkaliämie.
Trotz Sedierung, Intubation, CRRT und ITS ➡️ Multiorganversagen, Tod an Tag 15.
👉 Fazit: Frühe Erkennung, schnelle Sedierung und sofortiges aggressives Kühlen entscheiden über Leben und Tod.
Pathophysiologische Mechanismen
Erhöhte Wärmeproduktion: Stimulanzien → gesteigerte Muskelaktivität, β3-adrenerge Thermogenese
Verminderte Wärmeabgabe: periphere Vasokonstriktion
Thermoregulationsstörung: serotonerge Effekte im Hypothalamus
Typisch: Festivalbesucher, junge Menschen, Tanzen + Hitze + Drogen → Kreislaufkollaps.
Klinisches Management
Ziele:
Wärmeproduktion stoppen (Sedierung, Muskelkontrolle)
Wärmeabgabe maximieren (multimodales Kühlen)
Sedierung:
Benzodiazepine = Mittel der Wahl (hochdosiert)
Bei schwerer Agitation oder Bewusstlosigkeit: frühe Intubation + Relaxation
Keine körperliche Fixierung!
Kühlmethoden
Passiv: Kleidung aus, Ventilation, Luftzug
Aktiv extern: Eispackungen, Ventilatoren mit Sprühnebel, Kühlmatten, Eiswasserimmersion (Goldstandard, 8–10 °C Reduktion/Stunde)
Aktiv intern: 4 °C-Infusionen, CRRT ohne Blutwärmer, intravasale Kühlkatheter, ECMO
➡️ Ziel: Körperkerntemperatur < 38 °C innerhalb von 15 Minuten
Systemische Herausforderungen
Seltenes Krankheitsbild → wenig Erfahrung in EDs
Notwendig: klare Protokolle, Simulationstraining
Frühzeitige Rücksprache mit Toxikologie-/Giftnotrufzentren
Fazit
IDIH = selten, aber lebensbedrohlich
Betrifft v. a. junge, gesunde Menschen
Zwei Therapie-Säulen:
Sedierung & Muskelkontrolle
Aggressives multimodales Kühlen
Ziel: Normothermie < 38 °C so schnell wie möglich
Vorbereitung & klare Abläufe in Notaufnahmen sind entscheidend
👉 Kurz gesagt: Cool, coool, coooooool – und zwar sofort! 🧊
